Das Dreikönigsfest oder Epiphanias (6. Januar) wurde in Arkeden von den Sachsen nicht gefeiert, wenngleich es in anderen siebenbürgischen Ortschaften auch unter den evangelischen Gläubigen üblich war. Der erste Feiertag nach Neujahr war also der Geschworenen-Montag. Georg Binder beschreibt die Bräuche vom Geschworenen-Montag über Marientag (Blasi) bis zum Fasching (Fosenicht) oder Richttag in seinem Werk „Arkeden“, 1995, S. 351 - 363 wie folgt:
Geschworenen-Montag
Am ersten Montag nach dem Dreikönigsfest war es in Arkeden Brauch, den sogenannten „Geschworenen-Montag“ zu feiern. Er ist wahrscheinlich auf die früher übliche Feier der Geschworenen (Borger) nach ihrer Wahl ins Gemeindeamt zurückzuführen. Mit Sicherheit gründet er im althergebrachten siebenbürgisch-sächsischen Brauchtum der Gemeindegeschworenen, das sich in einigen Dörfern - auch in Arkeden - bis heute gehalten hat.
Das Flachsspringen
In Arkeden war es in vielen Familien Brauch, dass die Kinder am Geschworenen-Montag frühmorgens zu den Großeltern „Flachsspringen“ gingen. Ich z.B. ging zu meinen Binder-Großeltern, stieg aufs Kanapee, sprang herunter und wünschte: „So hoch soll ihr [Euer] Flachs wachsen!“ Der Lohn dafür war eine 20-30 Zentimeter lange Bratwurst, die, mit Holzstäbchen oder rotem Faden gekennzeichnet, am Abend - pünktlich zur Feier - in die Bratpfanne kam. Gefeiert wurde (ähnlich wie in der Christnacht und Silvester) schulklassenweise und nach Geschlechtern getrennt. Die Bratwurst, den Wein und zuweilen auch das Brot brachte jeder Teilnehmer von zu Hause mit. Die Hauswirtin (Mutter eines Beteiligten) hatte die Aufgabe, die individuell kenntlich gemachten langen Bratwürste in Schmalz zu braten und mit selbsteingelegtem Sauerkraut (Kémpest) aufzutischen. Jeder aß seine eigene Bratwurst, sein eigenes Brot und trank seinen eigenen Wein. Es war, besonders bei den Buben, eine spezielle Art von „Wettkampf“ im Essen und Trinken. Man aß und trank „um die Wette“ (én de Weet).
Nach dem Essen gingen die Jungs zu den Mädchen „ansingen“ und feierten dort anschließend gemeinsam weiter. Dasselbe galt auch für Knechte und Mägde. Junge Ehepaare feierten in Bezugsgruppen unter Freunden. Die alten Menschen feierten den Geschworenen-Montag in der Regel nicht. Es gab auch Zeitabschnitte, in denen nach der Feier in Privatwohnungen ein Ball im Gemeindesaal organisiert wurde, wo sich dann alle Gruppen einfanden und bis in die Nacht hinein tanzten.
H. Marientag (2. Februar)
In Arkeden feierte man am Marientag den „Blasi“, einen Tag vor „Blasius“ (3. Februar).
Der Arkeder Blasi-Ball, das größte Kinderfest des Jahres, fand am Nachmittag und am Abend des 2. Februar, am Vortag des Blasius, im Gemeindesaal statt. Alle Kinder nahmen - ab etwa 14 Uhr - gemeinsam mit ihren Müttern an diesem Fest teil. Auch einige Väter „bequemten“ sich bis hinter die Saaltür und sahen dem munteren Treiben eine Weile zu.
Für die Zwischendurch-Mahlzeiten der Kinder nahmen die Mütter - in schönen Proviantkörben - einen in Arkeden beliebten Kuchen mit der lustigen Bezeichnung „Spitzbuben“ mit in den Saal. Außerdem sorgten die Verkäufer der Geschäftsinhaber mit Bonbons, Halwa, Erdäpfelzucker, Milch- bzw. Strohschokolade [gefüllte Waffeln, rum. napolitane], Türkisch-Poluckes (rum. rahat), Johannisbrot (volkstümlich Geißzitzen, sächs. Ge-ißmömen) und Feigen für das leibliche Wohl der Kinder. Ich habe bewusst das ganze Sortiment des dörflichen Angebots aufgezählt, weil die Eltern an diesem Tag spendabler waren als sonst.
Für schwungvolle Musik sorgten die Adjuvanten. Sie spielten meistens Polka oder Walzer. „Aufgeführt“, d.h. von den Kindern vorgeführt wurden Kindertanzspiele wie:
- Mit den Füßen tapp, tapp, tapp, mit den Händen klatsch, klatsch, klatsch…
- Heute gehen wir auf den Ball, auf den Ball, auf den Ball …
- Es geht eine Zipfelmütz in unsrem Kreis herum…
- Es geht ein Bi-ba-Butzemann…
- Grünes Gras, grünes Gras, unter meinen Füßen, hab verloren meinen Schatz, suchen werd ich müssen
- Brüderchen komm tanz mit mir, beide Hände reich ich dir …
und letztendlich das Spiel „Dreht euch nicht um, denn der rote Fuchs geht herum, wer sich umdreht oder lacht, der bekommt eins, dass es kracht…“
Nach A. Schullerus gehörten gemeinsam gesungene Lieder, Spiele und Tanz zum festen Programm des „Blasi“. Die Blasiprogramme wurden von den Lehrern und Lehrerinnen in der Schule vorbereitet. Tanzen (Polka, Walzer) lernten die Kinder in der Familie, in der „Freundschaft“ …
Die Mütter, Großmütter und Gueden saßen stolz auf den Bänken rings um den Tanzboden. Die Kinder tanzten miteinander oder mit Erwachsenen (Mutter, größeren Geschwistern, Großmutter, Tanten, Gueden und nicht zuletzt mit der Lehrerin bzw. mit der „Kindergartentante“, in Arkeden Bezeichnung für die Kindergärtnerin). Viele Kinder, besonders Buben, schämten sich mit der Lehrerin oder Kindergartentante zu tanzen, weil sie ja erst tanzen lernten, und „hüteten“, d.h. verkrochen sich hinter den Erwachsenen, um nicht aufgefordert zu werden. Letztendlich half alles nichts, denn die Lehrerin „erwischte“ jeden Schüler und führte ihn auf die Tanzfläche vor den Augen aller Mütter. Im großen und ganzen gesehen war der Blasi ein sehr beliebtes Kinderfest und „alle Jahre wieder“ freuten sich die Kinder auf den Blasiball.[…]
In Arkeden wurde am Blasiustag selbst, am 3. Februar, nicht gefeiert. Andernorts in Siebenbürgen jedoch ja. […]
Richttag in Arkeden
a. Allgemein
Gemäß Artikel XVIII Punkt 3 der Arkeder Nachbarschaftsartikel (…) war der Faschingsdienstag der Tag an dem (in früheren Zeiten) „Gericht“ gehalten wurde. Die Vorschrift des Artikel XVIII/3 lautet: „An dem vorigen Tag (gemeint ist der Vortag zum Aschermittwoch) soll Gericht gehalten werden in der Morgenstunde in allen Nachbarschaften, auf dass die Ungehorsamen gestraft, die Gefolgsamen aber Lob und Ehre erlangen mögen.“
Lustbarkeiten und Tanz fanden am Aschermittwoch und am darauffolgenden Donnerstag statt. Der lustige, unterhaltsame Teil der Arkeder „Fosenicht“ begann erst dann, wenn am Rhein und an der Isar das närrische Treiben am Aschermittwoch aufgehört hatte.[…]
Im Artikel XVIII der Arkeder Nachbarschaftsartikel wird den Nachbarvätern die Pflicht auferlegt, die Nachbarn und Nachbarinnen mit einer Mahlzeit, auf Kosten der Nachbarschaft, zu versehen.
Nachstehend die Faschingsbräuche zwischen den beiden Weltkriegen.
[…] Richttag halten, d.h. „Gericht“ halten, war ausschließlich Sache der verheirateten Männer. Die Richttage wurden nachbarschaftsweise gehalten. Gefeiert wurde der Richttag (die Arkeder Fosenicht) in Altersgruppen. Die mundartliche Bezeichnung für Fastnacht lautet in Arkeden auf „Fosenicht“ und beschränkt sich auf den Richttag am Aschermittwoch und auf den Donnerstag danach (Richttag = Richtdách). Die Worte Männer, Frauen, Knechte, Mägde, Jungen und Mädchen lauteten im Arkederischen auf: Montslotch, Fráen, Kni-echt, Meed, Gángen, Metscher. Diese Gliederung nach Alter und Geschlecht spielte beim Richttagsfeiern, wie wir sehen werden, mit eine Rolle.
b. Richttag der verheirateten Männer
Am Aschermittwoch in der Früh vor 10 Uhr wurde in allen Nachbarschaften das Nachbarschaftszeichen (s. Nüeberze-ichen) getragen. Die Nachricht lautete: „Dem ‚Nachbarzeichen‘ nach jung und alt zum alten Nachbarvater.“ Umgehend versammelten sich alle verheirateten Männer (de Montslotch) zum alten Nachbarvater. Hier wurde bis 12 Uhr Gericht gehalten. Abweichend von den Vorschriften der Nachbarschaftsordnung, Artikel XVIII/3, die das Gericht auf den Faschingsdiensten festlegte, hielten die Nachbarschaften in den 30er Jahren ihr ‚Gericht‘ am Vormittag des Aschermittwochs. Nach Jahresbericht und Rechnungslegung des alten Nachbarvaters für das vergangene Jahr erfolgte bei geöffneter Nachbarschaftslade, das ‚Richten‘, d.h., die Bestrafung für die Verstöße gegen die Vorschriften der Arkeder Nachbarschaftsartikel.
Geldstrafen wurden verhängt für: Versäumen des Kirchgangs, Ruhestörung, Schelten in der Öffentlichkeit und zu Hause, Ungehorsam gegen die Nachbarväter, falsches Verhalten auf der ‚Leiche‘, Missachtung der Vorschriften das Feuer betreffend, Verweigerung der Nachbarschaftshilfeleistung, falsches Verhalten gegenüber dem Gesinde des Nachbarn, Missachtung der Erntevorschriften, regelwidriges Steinewerfen auf des Nachbars ‚Lande‘, Nichtsauberhalten der Gräben und Stege, regelwidriges Verhalten auf Reisen, mangelhafte Instandhaltung von Zäunen und Mittelfrieden, Nichtbeseitigung von Zaunlücken, Schädigung des Fremdeigentums (Privat- und Gemeindeeigentum), „Liebesdienstverweigerung“ (z.B. die Verweigerung, dem Nachbarn Bänke, Tische, Geschirr u.ä. für die Hochzeit zu borgen) und unanständiges Benehmen oder sittenwidriges Verhalten im öffentlichen Leben.
Die Straftaten waren im Laufe des Jahres vom alten Nachbarvater in einem ‚Strafregister‘ festgehalten worden. Für die am Richttag verhängten Strafen wurde ein Protokoll angefertigt, d.h. die Namen, Vornamen und Haus-Nr. der Täter, die Straftaten und die Geldstrafen wurden, ähnlich wie bei der Bruder- und Schwesternschaft aufgelistet. […]
Nach dem ‚Gerichthalten“ gingen die Männer zwischen 12 und 13 Uhr nach Hause zum Mittagessen. Beim Nachbarvater wurde am Richttag kein warmes Mittagessen aufgetischt. Am Aschermittwoch arbeiteten die Männer nicht. Für die Arbeit in Haus und Hof waren an diesem Tag ausschließlich die Frauen zuständig. Etwaige Hilfe erhielten sie von Seiten der größeren Kinder. Um 13 Uhr kamen die Männer zurück zum alten Nachbarvater. Hier fand die eigentliche Unterhaltung statt.
Am Abend kamen auch die Frauen zu den Männern zum alten Nachbarvater und es wurde bei Speis und Trank bis spät in die Nacht hinein gefeiert. Serviert wurden ausschließlich kalte Speisen, guter Schnaps und Wein.
c. Richttagsfeier der verheirateten Frauen
Am Aschermittwoch um 16 Uhr wurde in allen Nachbarschaften das 'Nachbarschaftszeichen' getragen.
Die Bekanntmachung der jungen Nachbarmutter lautete: „Dem Nachbarschaftszeichen nach, jung und alt zur jungen Nachbarmutter.“ Nach verrichteter Haus- und Hofarbeit gingen die Frauen und Kleinkinder am späten Nachmittag zur jungen Nachbarmutter zu einem fröhlichen Beisammensein. Am Abend - wie bereits erwähnt - gingen die Frauen (ohne die Kleinkinder) zum alten Nachbarvater zu den Männern und zu diesem Zeitpunkt begann die eigentliche Faschingsunterhaltung, die bis nach Mitternacht anhielt.
d. Fasching der konfirmierten Jugend
Knechte und Mägde feierten den ‚Richttag‘ am Aschermittwoch gemeinsam und nachbarschaftsweise im Hause eines Kameraden oder einer Kameradin. Den Wein erhielten sie von den jeweiligen Nachbarschaften, von den Erwachsenen. Am Donnerstag ging die Feier mit dem Faschingsball im Gemeindesaal weiter. Die Kinder und Jugendlichen (Meed och Kniécht, Metscher och Gángen) gingen zum Teil maskiert auf den Richttagsball. Am Abend erschienen dann auch die „wiederauferstandenen“ Männer auf dem Ball. Ebenfalls auch Frauen.
e. Schulkinder - „Richttag“: Richttagsfeuer
In der Faschingszeit teilten sich die Schulbuben in zwei Gruppen: Zur ersten Gruppe, „Oberes Dorf“, gehörten die Jungs der Kirchenländer- und Oberländernachbarschaft. Zur zweiten Gruppe, „Unteres Dorf“, gehörten die Buben der Hinterländer- und Schenkerländernachbarschaft. Die erste Gruppe entzündete ihr Richttagsfeuer „Áf der Sánheld“. Die zweite Gruppe entzündete es auf dem der „Sánheld“ gegenüberliegenden „Àm Gehrech“.
Der Wettstreit zwischen den beiden rivalisierenden Gruppen entschied u.a. die Größe des Feuers, d.h. die Rauchmenge und die Höhe der emporsteigenden Flammen sowie die Anzahl und Lautstärke der Detonationen der ins Feuer geworfenen Patronen (scharfe Munition).
Das Entzünden von Feuer im Freien gehört, wie bereits erwähnt, zu den Volksbräuchen der Frühjahrsfestzeit, die Zeit zwischen Mariä Lichtmeß (2. Februar) und Anfang Mai, in denen die Freude über das Scheiden des Winters und das Wiedererwachen der Natur zum Ausdruck kommt. […]
Bereits im Februar teilten sich die Arkeder Schulbuben in die zwei bereits erwähnten Gruppen. Sie beschimpften sich gegenseitig mit derselben erniedrigenden Bezeichnung „Pustátschak“, ein negativ behafteter Begriff, eine Anspielung auf die ungarische „Pusztá“, hier im Sinne von unzivilisiert und rückständig verwendet. Jede der beiden Gruppen hielt sich selbst für etwas Besseres und sah auf die andere Gruppe von oben herunter. Persönliche Kameradschaften zwischen Jungs, die jeweils einer dieser Gruppen angehörten, wurden für die Faschingszeit, besonders am Richttag, gekündigt und ausgesetzt. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe hatte Vorrang; es herrschte Gruppenzwang. Die Kameradschaften litten darunter nicht. Nach dem Richttag war alles wieder beim Alten, die Gegnerschaft wich der Freundschaft. […]
Bereits im Januar oder Februar gingen die beiden Gruppen jede auf ‚ihren Berg‘ Holzmachen für das Richttagsfeuer. Wir, die Buben aus dem oberen Dorf, fällten schöne Eichen aus dem Kirchenwald auf der Sánheld. Die Eichenstämme wurden zersägt und gespalten. Die über 3 Meter langen und dünn gespaltenen Holzscheite legten wir in die aus dem erste Weltkrieg stammenden Schützengräben und deckten sie mit Reisig zu. In diesem Versteck blieb das Feuerholz bis zum Richttag am Aschermittwoch. […]
Am Vormittag des Aschermittwoch versammelten sich die Buben und gingen gruppenweise auf „ihren Berg“. Jeder Bub trug, nach Alter und Stärke, ein kurzes oder langes getrocknetes Holzscheit mit. Die „Großen“ hatten auch Patronen (richtige Kriegsmunition) in den Hosentaschen. Auch getrocknete Holzspäne und Lampenpetroleum fürs Feueranzünden wurden mitgenommen. Über die Späne und Trockenholzscheite stellten wir die aus dem Versteck herbeigeholten langen Eichen- oder Buchenholzscheite kegelförmig auf. Das mit Lampenpetroleum genäßte Holz wurde mit einer brennenden Fackel entzündet. Mit Feuerschreien wurden das Emporsteigen der lodernden Flammen und die Patronenexplosionen begrüßt. Die Rivalen vom Gehrech beschimpften wir mit „Pustátschakschreien“ und bedrohten sie symbolisch mit furchterregenden Gebärden, z.B. Faustzeigen und Stockschwingen.
Nach dem Erlöschen der Feuerflammen ging es lärmend zurück ins Dorf. Jeder Bub war mit einer Haselrute oder einem Stock (Hartriegel oder Zwèlk) bewaffnet. Treffpunkt der beiden rivalisierenden Gruppen war die Grenze zwischen der Kirchenländer- und der Hinterländernachbarschaft in der Krewelgasse (Haus-Nr. 156/157). Bei Grenzüberschreitungen verwandelte sich das harmlose Streitspiel einer Schneeballschlacht in eine wüste Schlägerei. Das Kräftemessen nahm gelegentlich körperverletzende Formen an, ähnlich wie bei den Heischebräuchen im Norden Deutschlands, wo die Bereitschaft zum „Geben“ durch gewaltsame Nötigung und Schlagen gesteigert wurde.
f. Lustbarkeiten am Donnerstag nach Aschermittwoch
Es war allgemeine Pflicht am Donnerstag um 11 Uhr zur Fortsetzung der Lustbarkeiten zu erscheinen. Bemerkenswert ist die Zahl 11, die im deutschsprachigen Raum Europas oft in Verbindung mit den Faschingsbräuchen verwendet wird. Die Männer versammelten sich zum alten Nachbarvater, die Frauen zur jungen Nachbarmutter. Diejenigen, die nicht zur rechten Zeit, um 11 Uhr fix, ‚antanzten‘, wurden von der Nachbarschaft mit dem ‚Karren‘ (Schubkarre, Pflugkarre oder Wagen) von zu Hause abgeholt und maskiert zur Nachbarschaft ‚geschleppt‘. Für die Abschleppaktion musste der Säumling einen Liter Schnaps an die Nachbarschaft entrichten. Das Herbeischleppen der Säumlinge war von Gelächter, Schadenfreude und gutgemeinten ‚Spottrufen’ begleitet. Am Donnerstag Nachmittag besuchten sich die Nachbarschaften gegenseitig. Maskiert oder auch nicht gingen oder fuhren die ‚Narren‘ und ‚Närinnen‘ lärmend und mit großem Getue durch die Dorfgassen. Es herrschte Narrenfreiheit. Kritik in Spottversen, in Pasquillen (sächs. Paschkewilen) war üblich. Mit lustigen und derben Späßen erreichten die Lustbarkeiten ihr Ende. Anschließend trafen sich alle, jung und alt, auf dem Ball im Gemeindesaal.
g. Richttag in der sozialistischen Ära
In den Nachkriegsjahren, in der Ex-lex-Periode, d.h. in der Zeit der Gesetzlosigkeit für Sachsen, fiel der Richttag gänzlich aus. In den 50er Jahren wurde er wieder belebt und nach altherkömmlichem Brauch nachbarschaftsweise gehalten. Das ‚Richten‘ und ‚Strafen‘ fiel weg. Ausnahme: Wegen Fernbleiben von der Nachbarschaftsarbeit wurden symbolisch kleine Geldstrafen verhängt; dies galt besonders für die Oberländer Nachbarschaft. Es war Brauch, dass auf den einzelnen zugeschnittene Pasquillen verfasst und vorgelesen wurden. […] In Arkeden dienten die Pasquillen [Spottvers oder Schmähschrift] als Mittel der Kritik an Nachbarn und Nachbarinnen.
Der Richttag wurde bis etwa 1986 am Aschermittwoch (damals ein normaler Arbeitstag) bei gutem Essen und Trinken gehalten. Am Donnerstag nach Aschermittwoch war Ball. Die Partei drückte ein Auge zu. In den letzten Jahren der Ceausescu-Herrschaft wurde der Richttag auch in Arkeden zwangsläufig auf den Samstag und Sonntag vor Aschermittwoch verlegt. Die Ballgenehmigung wurde in der Regel von einem „politischen Programm“ abhängig gemacht. Kommunistische Formsache. Der Ball blieb sächsisch. Das politische Programm, z.B. ein politischer Vortrag eines Lehrers, blieb Nebensache, blieb ein Langweiler. Beliebt und gern gesehen waren kleine Laientheater oder lustige Vorführungen in Arkeder Mundart oder in Hochdeutsch.
Das Feiern eines gemeinsamen Richttages aller vier Nachbarschaften im sächsischen Festsaal auf dem Pfarrhof hat sich nicht bewährt und es blieb bei einem einmaligen Versuch in den 80er Jahren. Nach diesem Experiment hielten die Arkeder ihre Richttage wieder nachbarschaftsweise und nach Zivilstand (Verheiratete / Ledige) getrennt. Nur der Ball war für alle gemeinsam da. Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, gingen zum Teil maskiert auf den Ball.
In den letzten Jahren wurde der Aufwand für den Richttag in der Nachbarschaft immer größer und größer; nach Meinung vieler sogar verschwenderisch groß.
Die letzten Richttagsfeuer der Schulbuben im Freien (Sánheld / Gehrech) brannten im Jahre 1944. Seither ist der Brauch für immer verschwunden.
Der Brauch, Richttag zu feiern wurde in die neue Heimat verpflanzt. Ein Beispiel dafür: im Jahre 1992 feierten über 20 ‚alte‘ Arkeder in Ingolstadt, im Hause von Johann Müller senior (Haus-Nr. 26) erstmals traditionellen Arkeder Richttag. Es wurde der Beschluss gefasst, den Richttag alljährlich zu halten, ein Beispiel zur Nachahmung empfohlen.
Unveränderter Abdruck aus Binder, Georg: Arkeden. Eine siebenbürgische Gemeinde im Haferland und ihre Einwohner, 1995, S. 351 - 363. Weglassungen wurden mit [...] gekennzeichnet. In seltenen Fällen wurden sprachliche Korrekturen zum besseren Verständnis vorgenommen.
Nachtrag: Arkeder Richttag heute
Erste Versuche, den Arkeder Richttag als feste Veranstaltung im Jahresablauf zu etablieren, wurden in den 2000er Jahren in Neuburg an der Donau gemacht. Einige Jahre in Folge hatte Tatjana Pora die Organisation übernommen. Nachdem ein Versuch zur Fortführung in Augsburg gescheitert war, initiierten Michael Thellmann und Erwin Schuster in Ingolstadt 2006 einen "Richttag", der seither mit nur zwei Unterbrechungen jährlich in einer Gaststätte abgehalten wird. Als Termin wird das letzte Wochenende vor Aschermittwoch angestrebt.
Dass in der Regel etwa ein Drittel der rund 50 Gäste von außerhalb anreisen, spricht dafür, dass diese Veranstaltung überregional wahrgenommen und von vielen Arkedern begrüßt wird. Zwischen Nachbarschaften wird dabei nicht unterschieden.
Baumstriezel, Krapfen, Salzgebäck und gesüßter Schnaps werden bereit gestellt.
Der Arkeder Richttag in Ingolstadt steht unter dem Dach der HOG Arkeden e.V., ist aber keine HOG-Veranstaltung. Gegenwärtig verantwortlich sind der alte und der neue Nachbarvater Michael Thellmann und Walter Müller.